D. Martin Luthers ausfürliche Erklärung der Epistel an die Galater Anno 1535 Neu aus dem Lateinischen übersetzt. Published in: Dr. Martin Luthers Saemmtliche Schriften herausgegeben von Dr. Joh. Georg Walch Neunter Band. Auslegung des Neuen Testaments. (Schluss.) (St. Louis, Mo.: Concordia Publishing House, 1893) (cols. 109-111) Das erste Capitel V. 19. 20. Darnach über drei Jahre kam ich gen Jerusalem, Petrum zu schauen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. Der anderen Apostel aber sah ich keinen, ohne Jacobum, des Herrn Bruder. 212. Paulus gesteht, daß er bei den Aposteln gewesen sei, aber nicht bei allen. Doch zeigt er an, daß er zu ihnen nach Jerusalem gegangen sei, nicht auf Befehl, sondern freiwillig. Ferner, nicht um etwas von ihnen zu lernen, sondern nur um Petrus zu sehen. Das Selbe schreibt Lucas in der Apostelgeschichte, Cap. 9, 27., daß Barnabas den Paulus zu den Aposteln geführt und ihnen erzählt habe, wie er auf der Straße den Herrn gesehen, und er mit ihm geredet, und wie er zu Damascus den Namen Jesu frei gepredigt hätte. Dies Zeugniss gibt ihm Barnabas. 213. Alle seine Worte sind dahin gerichtet, daß er die Behauptung in Abrede nehme, er habe sein Evangelium von einem Menschen empfangen. Er gibt zwar zu, daß er den Petrus und Jacobus, den Bruder des Herrn, gesehen habe, aber keinen anderen außer diesen beiden, habe aber auch von ihnen nichts gelernt [usw.]. Er gesteht also zu, daß er zu Jerusalem gewesen sei bei den Aposteln, und daran haben die falschen Apostel recht gesagt. Er gesteht ferner zu, daß er nach jüdischer Weise gelebt habe, aber das habe er nur bei den Juden gethan. Denn Paulus hielt sich nach der Regel: Wenn du lebst zu Rom, so halt dich nach römischer Sitte. Dies bezeugt er auch im ersten Briefe an die Corinther, Cap. 9, 19-22.: "Wiewohl ich frei bin von jedermann", sagt er, "habe ich mich doch selbst jedermann zum Knechte gemacht, auf daß ich ihrer viele gewinne. Den Juden bin ich geworden als ein Jude [usw.] Ich bin jedermann allerlei worden, auf daß ich allenthalben ja etliche selig mache." Er gesteht also zu, daß er su Jersusalem bei den Aposteln gewesen sei, aber er leugnet, daß er sein Evangelium von ihnen gelernt habe, desgleichen leugnet er, daß er gezwungen worden sei, das Evangelium so zu lehren, wie es ihm die Apostel vorgeschrieben hätten. Es liegt also der Nachdruck auf dem Worte "sehen". Er sagt: Ich bin hinaufgezogen [gen Jerusalem], um den Petrus zu sehen, nicht um von ihm zu lernen. Deshalb ist weder Petrus noch Jacobus mein Lehrmeister geworden. Er nimmt aber durchaus in Abrede, daß er andere gesehen habe. 214. Aber warum handelt Paulus dies mit so vielen Worten, daß er es fast bis zum Ueberdruß einschärft, er habe sein Evangelium nicht von einem Menschen empfangen, auch selbst von den Aposteln nicht gelernt? Er will die von den falschen Aposteln bereits zerrütteten Gemeinden Galatiens gewiß machen, daß sein Evangelium Gottes Wort sei. Darum dringt er so heftig darauf. Und wenn er dies nicht aufs festeste bewiesen hätte, wäre er nicht im Stande gewesen, die falschen Apostel zunichte zu machen, denn sie würden ihm entgegengehalten haben: Wir sind ebenso gut wie Paulus, denn wir sind ebensowohl Jünger der Apostel wie er; sodann ist er nur eine einzelne Person und steht allein, aber unser sind viele. Wir haben also den Vorzug vor ihm an Ansehen und Zahl. So wurde denn Paulus genöthigt sich zu rühmen, zu behaupten und zu schwören, er habe das Evangelium von keinem Menschen gelernt, es auch selbst nicht von den Aposteln empfangen; und es war die höchste Noth, in solcher Weise zu rühmen, nicht eitle Prahlerei, wie Porphyrius und Julianus lästern, welche ebenso wenig als Hieronymus erkannt haben, was Paulus hier vorhätte. 215. Hier stand das Amt des Paulus in Gefahr, es standen auch alle Gemeinden in Gefahr, welche ihn zum Lehrer gehabt hatten. Es erforderte also die Noth des Amtes und aller Gemeinden, daß Paulus mit einem nothwendigen und heiligen Stolze seinen Beruf rühmte und die Offenbarung des Evangelii, die er von Christo empfangen hatte, damit die Gewissen versichert würden, daß die Lehre des Paulus Gottes Wort sei. Hier handelte es sich um eine große und ernste Sache, nämlich, daß alle Gemeinden in heilsamer Lehre erhalten würden; kurz, es handelte sich um ewiges Leben und ewigen Tod. Denn wenn das rechte reine und gewisse Wort hinweggenommen wird, so gibt es keinen Trost mehr, keine Seligkeit, kein Leben [usw.]. Deshalb erzählt er dies in der Absicht, daß er die Gemeinden in der rechten Lehre erhalte, streitet aber nicht darum, daß er seine Ehre vertheidige, wie Porphyrius lästert. Er wollte also mit dieser Geschichte beweisen, daß er sein Evangelium schlechterdings von keinem [Menschen] empfangen habe, desgleichen, daß er etliche Jahre, nämlich drei oder vier, in Damascus und Arabien aus göttlicher Offenbarung dasselbe Evangelium gepredigt habe als die Apostel, ehe er noch irgend einen der Apostel gesehen hätte. 216. Hieronymus macht hier eine Spielerei mit der geistlichen Deutung (_in mysterio_) der fünfzehn Tage. Desgleichen sagt er, daß Paulus in diesen fünfzehn Tagen von Petrus belehrt und in dem Geheimniß der Zahlen Acht und Sieben (_ogdoadis et hebdoadis_) unterwiesen worden sei. Aber dies dient nichts zur Sache. Denn Paulus sagt mit klaren Worten, daß er nach Jerusalem gekommen sei, um Petrum zu sehen, und daß er fünfzehn Tage bei ihm geblieben sei. Wenn er das Evangelium von Petrus hätte lernen müssen, so hätte er einige Jahre dort bleiben müssen; in fünfzehn Tagen würde er nicht ein so großer Apostel und Lehrer der Heiden geworden sein, um dabei noch dessen zu geschweigen, daß er in diesen fünfzehn Tagen, wie Lucas in der Apostelgeschichte Cap. 9, 28. f. bezeugt, den Namen Jesu frei gepredigt und sich mit den Griechen befragt habe [usw.]. _________________________________________________________________________________________________________ This text was converted to ASCII format for Project Wittenberg by Robert A. Oeser and is in the public domain. You may freely distribute, copy or print this text. Please direct any comments or suggestions to: Rev. Robert E. Smith Walther Library Concordia Theological Seminary E-mail: smithre@mail.ctsfw.edu Surface Mail: 6600 N. Clinton St., Ft. 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