D. Martin Luthers ausfuerliche Erklaerung der Epistel an die Galater. Anno 1535 Neu aus dem Lateinischen uebersetzt. Published in: Dr. Martin Luthers Saemmtliche Schriften herausgegeben von Dr. Joh. Georg Walch Neunter Band. Auslegung des Neuen Testaments. (Schluss.) (St. Louis, Mo.: Concordia Publishing House, 1893) (cols. 101-105) Das erste Capitel. V. 15 - 17. Da es aber Gott wohlgefiel, der mich von meiner Mutter Leibe hat ausgesondert und berufen durch seine Gnade, dass er seinen Sohn offenbarte in mir, dass ich ihn durch das Evangelium verkuendigen sollte unter den Heiden: alsobald fuhr ich zu, und besprach mich nicht mit Fleisch und Blut; kam auch nicht gen Jerusalem zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog hin in Arabien, und kam wiederum gen Damascus. 189. Dies ist die erste Reise des Paulus. Hieronymus laesst es sich hier sauer werden und sagt, Lucas schreibe in der Apostelgeschichte nicht von der Reise Pauli nach Arabien, als ob es nothwendig waere, die Thaten und Werke fuer jeden einzelnen Tag zu beschreiben, was doch unmoeglich ist. Das soll uns genuegen, dass wir einzelne Theile und einen kurzen Inbegriff der Historien haben, aus denen wir Exempel und Lehre schoepfen koennen. 190. Es bezeugt hier aber Paulus, dass er sofort, nachdem er durch die Gnade Gottes dazu berufen worden war, Christum unter den Heiden zu verkuendigen, nach Arabien gezogen sei, ohne jemand zu Rathe zu ziehen, und habe sich an das Werk gemacht, zu dem er berufen worden war. Und diese Stelle bezeugt, von wem er seine Lehre empfangen habe, und durch welche Mittel er zur Kenntniss des Evangelii und zum Apostelamte gekommen sei. "Da es Gott wohlgefiel", sagt er, als ob er sagen wollte: Ich habe mich nicht dadurch verdient gemacht, dass ich mit Unverstand um das Gesetz Gottes geeifert habe; ja, dieser thoerichte und gottlose Eifer hat mich verblendet, so dass ich aus Gottes Zulassung in greuliche Wuth gerieth und die verruchtesten Verbrechen beging. Ich verfolgte die Gemeine Gottes, ich war ein Feind Christi und laesterte sein Evangelium, ja, ich habe andere dazu veranlasst, viel unschuldiges Blut zu vergiessen; das war mein Verdienst. Mitten in diesem Wuethen bin ich zu dieser so grossen Gnade berufen. Etwa wegen dieses Wuethens? Keineswegs. Sondern die ueberschwaengliche Gnade Gottes, der mich berufen und sich meiner erbarmt hat, hat mir verziehen und mir diese Laesterungen vergeben [usw.], und fuer diese meine erschrecklichen Suenden, welche ich damals fuer die hoechste Gerechtigkeit und fuer einen Gottesdienst hielt, der Gotte ueberaus wohl gefiele, hat er mir seine Gnade und Erkenntniss der Wahrheit gegeben und mich zum Apostelamte berufen. 191. Wir kommen heutzutage durch ebendieselben Verdienste zur Erkenntniss der Gnade. Da ich ein Moench war, habe ich Christum taeglich gekreuzigt und durch mein falches Vertrauen, welches mir damals bestaendig anhing, habe ich ihn gelaestert. Aeusserlich war ich nicht wie andere Leute, Raeuber, Ungerechte, Ehebrecher, sondern hielt Keuschheit, Gehorsam und Armuth, ja, da ich frei war von Sorge fuer dieses gegenwaertige Leben, so gab ich mich ganz und gar auf Fasten, Wachen, Gebet, Messelesen [usw.] Indessen naehrte ich doch unter dieser [aeusserlichen] Heiligkeit und dem Vertrauen auf die eigene Gerechtigkeit fort und fort Misstrauen, Zweifel, Furcht, Hass und Laesterung gegen Gott, und es war solche meine Gerechtigkeit nichts Anderes als eine Mistpfuetze, und ein Reich, daran der Teufel seine Lust hatte. Denn solche Heiligen liebt der Satan und hat sein hoechstes Ergoetzen an ihnen, da sie ihre eigenen Leiber und Seelen verderben und sich selbst um allen Segen und alle Gaben Gottes betruegen und sich derselben berauben. Dabei herrscht aber doch in solchen Leuten die groesste Gottlosigkeit, Blindheit, Zweifel, Gottesverachtung, Unwissenheit des Evangeliums, Entheiligung der Sacramente; sie laestern Christum und treten ihn mit Fuessen und missbrauchen alle Gueter Gottes. Kurz, solche Heiligen sind des Satans gesangene Knechte, darum muessen sie denken, reden und thun, was er will, so sehr sie auch aeusserlich andere weit zu uebertreffen scheinen an guten Werken, an Strenge und Heiligkeit des Lebens. 192. Solche Leute sind wir unter dem Pabstthum gewesen, wahrlich ebenso grosse (wenn nicht groessere) Schaender und Laesterer wider Christum und sein Evangelium als Paulus selbst, und besonders ich. Der Pabst stand bei mir in so grossem Ansehen, dass ich meinte, es sei ein Verbrechen, das der ewigen Verdammniss werth waere, wenn jemand auch nur im allergeringsten von ihm abwiche, und diese gottlose Meinung veranlasste mich zu dem Glauben, dass Johannes Hus ein so verfluchter Ketzer sei, dass es ruchlos waere, auch nur an ihn zu gedenken, und ich selbst haette, um das Ansehen des Pabstes zu vertheidigen, Schwert und Feuer zugetragen, um diesen Ketzer zu verbrennen, und haette gemeint, dass ich Gotte damit einen sehr grossen Gefallen thaete. 193. Deshalb sind Zoellner und Huren in Vergleich zu solchen heuchlerischen Heiligen nicht einmal fuer boese zu achten. Denn jene haben Gewissensbisse, wenn sie suendigen, suchen auch ihre gottlosen Thaten nicht zu rechtfertigen, diese aber erkennen ihre Greuel, Goetzendienste und gottlose Lebensweise (_cultus_) so gar nicht fuer Suende, dass sie sogar predigen, das sei Gerechtigkeit und ein Gotte ganz wohlgefaelliges Opfer, und es als die groesste Heiligkeit anbeten und anderen Leuten durch solche Dinge die Seligkeit versprechen und sie ihnen fuer Geld als heilsame Dinge verkaufen. 194. Das ist nun unsere koestliche Gerechtigkeit, das ist unser ungeheuer grosses Verdienst, durch welches wir zur Erkenntniss der Gnade kommen, naemlich dass wir Gott, Christum, das Evangelium, den Glauben, die Sacramente, alle rechten Christum (_pios_), den wahren Gottesdienst so feindlich und teuflisch verfolgt, gelaestert, mit Fuessen getreten und verdammt haben, und durchaus das Widerspiel gelehrt und aufgerichtet haben. Und je heiliger wir waren, desto blinder waren wir, und desto lauterer (_purius_) haben wir den Teufel angebetet. Jeder unter uns war ein Bluthund, wenn auch nicht mit der That doch im Herzen. Da es aber Gott wohlgefiel. 195. Als ob er sagen wollte: Es ist Gottes lautere unermessliche Gnade, dass er meiner, eines so verruchten Menschen, eines Gotteslaesterers, Verfolgers und Gottesraeubers nicht allein verschont, sondern mir noch obenein die Erkenntniss des Heils, den Geist, Christum, seinen Sohn, das Apostelamt und das ewige Leben schenkt. 196. Ebenso hat Gott uns, die wir mit ebensolchen Suenden beladen sind, gnaedig angesehen, und uns nicht allein unsere Gottlosigkeit und unsere Laesterungen aus lauter Barmherzigkeit um Christi willen vergeben, sondern uns noch obenein mit den groessten Wohlthaten und geistlichen Gaben ueberschuettet. Aber unser viele sind nicht allein undankbar gegen Gott fuer diese unaussprechliche Gnade, und vergessen wie es 2 Petr. 1,9. heisst, der Reinigung unserer vorigen Suenden und der geschenkten Gnade, sondern oeffnen dem Teufel wiederum die Thuer und fangen an, des Wortes ueberdruessig zu werden; sehr viele verfaelschen es auch und richten neue Irrthuemer an. Mit diesen wird das Letzte aerger als das Erste. Der mich von meiner Mutter Leibe hat ausgesondert. 197. Das ist eine hebraeische Redeweise; das heisst, er hat mich geheiligt, er hat mich verordnet, er hat mich bereitet; das ist, da ich noch im Mutterleibe war, hatte Gott zuvor versehen, dass es geschehen wuerde, dass ich mit so grosser Wuth wider die Gemeinde toben wuerde, und dass er mich darnach aus lauter Gnade mitten aus dem Laufe meiner Grausamkeit und Laesterung nach seiner Barmherzigkeit wieder auf den Weg der Wahrheit und Seligkeit bringen wollte. Kurz, ehe ich noch geboren war, war ich in den Augen Gottes ein Apostel, und da die Zeit kam, bin ich auch vor der Welt fuer einen Apostel erklaert worden. 198. So schneidet Paulus gaenzlich alles Verdienst ab, und schreibt Gott allein die Ehre, sich aber nur Schande zu, als ob er sagen wollte: Alle Gaben, die kleinsten und die groessten, geistliche und leibliche, welche Gott mir schenken wollte und alles Gute, das ich jemals in meinem ganzen Leben thun wuerde, das hatte Gott selbst schon zuvor versehen, als ich noch in Mutterleibe war, da ich weder etwas Gutes denken, noch wuenschen noch thun konnte, sondern eine ungestalte Frucht war. Daher ist mir diese Gabe widerfahren allein durch die Gnade Gottes, der mich zuvor versehen und sich meiner erbarmt hat, da ich sogar noch nich geboren war. Darnach, als ich nun geboren war, hat er mich getragen, wiewohl ich mit unzaehligen Greueln der Bosheit und Suende beladen war; und damit er die unaussprechliche und unermessliche Groesse seiner Barmherzigkeit gegen mich desto mehr kund machte, hat er mir aus blosser Gnade meine ueberaus grossen und unzaehligen Suenden erlassen. Darnach aber hat er mich auch mit so grosser Fuelle der Gnade ueberschuettet, dass ich nicht allein fuer meine Person erkannte, was uns in Christo geschenkt waere, sondern dies auch anderen predigen sollte. 199. Gliecher Art sind die Verdienste aller Menschen, besonders der alten Narren, die sich vor anderen im Koth der menschlichen Gerechtigkeit abgemueht haben. Und berufen durch seine Gnade. 200. Siehe, wie sorgfaeltig der Apostel seinen Ausdruck waehlt (diligentiam). "Er hat mich berufen", sagt er, Wie? Etwa um meines Pharisaeerthums willen, wegen meines untadeligen und heiligen Lebens, wegen meines untadeligen und heiligen Lebens, wegen meiner Gebete, Fasten und Werke? Nein! Viel weniger aber um meiner Gotteslaesterungen, Verfolgungen und Gewaltthaten willen. Wir denn? Aus lauter Gnade. ____________________________________________________________________________________ This text was converted to ascii format for Project Wittenberg by Robert A. Oeser and is in the public domain. You may freely distribute, copy or print this text. Please direct any comments or suggestions to: Rev. Robert E. Smith Walther Library Concordia Theological Seminary E-mail: smithre@mail.ctsfw.edu Surface Mail: 6600 N. Clinton St., Ft. Wayne, IN 46825 USA Phone: (219) 452-3149 Fax: (219) 452-2126 ___________________________________________________________________________________