_D. Martin Luthers ausfuerliche Erklaerung der Epistel_ _an die Galater._ Anno 1535 Neu aus dem Lateinischen uebersetzt. Published in: _Dr. Martin Luthers Saemmtliche Schriften_ herausgegeben von Dr. Joh. Georg Walch Neunter Band. _Auslegung des Neuen Testaments._ _(Schluss.)_ (St. Louis, Mo.: Concordia Publishing House, 1893) (cols. 84-87) _Das erste Capitel._ _V. 9. Wie wir jetzt gesagt haben, so sagen wir auch abermal: So jemand euch Evangelium predigt, anders, denn das ihr empfangen habt, der sei verflucht!_ 148. Er wiederholt dasselbe, aendert nur die Personen. Oben hat er sich selbst, seine Brueder, einen Engel vom Himmel verflucht; hier sagt er: Wenn noch irgend andere sind ausser uns, welche euch Evangelium predigen anders, als das ihr von uns empfangen habt, die sollen auch verflucht sein. Daher verbannt und verflucht er schlechthin alle Lehrer, sich selbst, seine Brueder, einen Engel und darnach irgend welche andere, naemlich, die dem Evangelio zuwider lehren. Der Apostel hat einen ueberaus heftigen Eifer, dass er es wagt, alle Lehrer in der ganzen Welt und im Himmel zu verfluchen, welche sein Evangelium verkehren, und ein davon verschiedenes lehren. Denn alle muessen dem Evangelio glauben, 1) welches Paulus gepredigt hat, oder ein Fluch werden und verdammt sein. Wollte doch Gott, dass dieses erschreckliche Urtheil des Apostels den Verkehrern des Evangeliums Pauli einen Schrecken einjagte, derer heutzutage, leider, die Welt voll ist. 149. Auf die Aenderung der Personen muss man hier wohl Acht geben. Denn Paulus redet anders im ersten Fluche als in diesem zweiten. Im ersten sagt er: "So auch wir, oder ein Engel vom Himmel euch wuerde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben" [usw.], im zweiten: "anders, denn das ihr empfangen habt". Und dies thut er absichtlich, damit die Galater nicht sagen moechten: Wir haben das Evangelium nicht verkehrt, welches du, Paulus, uns gepredigt hast, sondern, da du es uns predigtest, haben wir es nicht recht verstanden; aber die Lehrer, die nach dir gekommen sind, haben uns den rechten Verstand erschlossen. Das, sagt er, werde ich in keiner Weise zulassen. Jene sollen nichts hinzufuegen noch bessern, sondern das, was ihr von mir gehoert habt, das ist das lautere Wort Gottes; das allein soll bleiben. Und ich wuensche nicht, das ich ein anderer Lehrer des Evangeliums sei, noch dass ihr andere Schueler seiet. Darum wenn ihr irgend einen hoeren solltet, der ein anderes Evangelium bringt als das, welches ihr von mir gehoert habt, oder der sich ruehmt, er wolle Besseres vorbringen, als ihr von mir empfangen habt, der sei verflucht sammt seinen Schuelern. 150. Das ist aber die Art der Diener des Satans, dass sie sich mit dieser sonderlichen Geschicklichkeit in die Herzen der Menschen einzuschleichen und einzuschmeicheln verstehen. Sie geben zu, das diejenigen, welche vor ihnen das Evangelium gelehrt haben, zwar wohl angefangen haetten, aber dies sei nicht genug; sie aber wollten ganz gewisse Dinge vortragen, welche sie in solcher Weise lehren wollten, dass dies bei den Zuhoerern grossen Nutzen schaffen sollte [usw.] So spenden die Schwaermer auch uns heutzutage dies Lob, dass wir die Sache des Evangelii in rechter Weise angefangen haben. Aber weil wir ihre gotteslaesterliche Lehre verabscheuen und verdammen, so nennen sie uns Schmeichler und neue Papisten, die zweifaeltig schlechter sind als die alten. Durch diese Kunst verschaffen sich die Diebe und Raeuber den Eingang in den Schafstall des Herrn, und zu stehlen, zu schlachten und zu verderben, naemlich, dass sie zuerst das Unsere bestaetigen, darnach uns verbessern, und deutlicher erklaeren, wie sie schwatzen was wir nicht genugsam oder nicht ganz richtig verstanden haetten. Auf dieselbe Weise bereiteten sich die falschen Apostel den Zugang zu den Galatern. Paulus, sagten sie, hat zwar den Grund der christlichen Lehre gelegt, aber die rechte Weise der Rechtfertigung haelt er nicht fest, weil er den Abfall vom Gesetz lehrt. Darum empfanget nun von uns, was er nicht recht zu lehren vermochte. Aber Paulus will nicht, dass etwas Anderes von irgend jemandem gelehrt werde, noch dass etwas Anderes von den Galatern gehoert und angenommen werde, als was er sie zuvor gelehrt hatte, und was sie von ihm gehoert und empfangen hatten. Diejenigen aber, sagt er, welche etwas Anderes lehren oder annehmen, die sollen verflucht sein. 151. Die beiden ersten Capitel enthalten fast nichts als Vertheidigungen und Widerlegungen. Denn erst zu Ende des zweiten Capitels faengt er an, die Lehre von der Rechtfertigung zu handeln. Doch dieses Urtheil des Paulus soll uns dessen erinnen, dass alle die verflucht sind, welche dafuerhalten, dass der Pabst ein Richter ueber die Schrift sei, desgleichen, dass die Kirche Gewalt ueber die Schrift habe, was die Lehrer des paebstlichen Rechts und die Sentenzenschreiber gottlos gelehrt und sich dafuer auf diesen Grund berufen haben: Die Kirche hat nur vier Evangelia gutgeheissen, darum gibt es nur vier; wenn sie mehrere gutgeheissen haette, so waeren auch mehr. Da aber die Kirche nach ihrem Belieben Evangelia annehmen und gutheissen konnte, welche und so viele sie wollte, so ist dennach die Kirche ueber das Evangelium. 152. Diese Folgerung passt, wie die Faust aufs Auge. 2) Ich heisse die Schift gut, also bin ich hoeher als sie. Johannes der Taeufer faellt Christo bei (_approbat_) und bekennt ihn, und zeigt ihn mit dem Finger, also ist er mehr als Christus. Die Kirche heisst die christliche Lehre und den Glauben gut, also ist sie die hoehere. 153. Um diese ihre gottlose und gotteslaesterliche Lehre zu widerlegen, hast du hier einen ganz klaren Text und eine Donneraxt vom Himmel, dass Paulus schlechterdings sich selbst, einen Engel vom Himmel, die Lehrer auf Erden, und was es sonst noch fuer Meister geben mag, alles zusammenfasst und unter die heilige Schrift wirfst. Diese Koenigin muss herrschen, ihr muessen alle gehorchen und unterworfen sein. Nicht ihre Meister, Richter oder Schiedsleute, sondern nur Zeugen, Schueler und Bekenner sollen sie sein, moege es der Pabst sein, oder Luther, oder Augustinus, oder Paulus, oder ein Engel vom Himmel, und es soll keine andere Lehre in der Kirche vorgetragen und gehoert werden als das reine Wort Gottes, das heisst, die heilige Schrift; sonst sollen Lehrer und Hoerer mit ihrer Lehre verflucht sein. ----------- 1) Wittenberger: _credere_; Menius: "glaeuben", Jenaer und Erlanger: _cedere_. 2) _a baculo ad angulum._ Vgl. die Anmerkung zu Walch, St. Louiser Ausgabe, Bd. XX, 1640. ______________________________________________________________________________ This text was converted to ascii format for Project Wittenberg by Robert A. Oeser and is in the public domain. You may freely distribute, copy or print this text. Please direct any comments or suggestions to: Rev. Robert E. Smith Walther Library Concordia Theological Seminary E-mail: smithre@mail.ctsfw.edu Surface Mail: 6600 N. 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