_D. Martin Luthers ausfuerliche Erklaerung der Epistel_ _an die Galater._ Anno 1535 Neu aus dem Lateinischen uebersetzt. Published in: _Dr. Martin Luthers Saemtliche Schriften_ herausgegeben von Dr. Joh. Georg Walch Neunter Band. _Auslegung des Neuen Testaments._ _(Schluss.)_ (St. Louis, Mo.: Concordia Publishing House, 1893) (cols. 78-83) _Das erste Capitel._ _V. 7. So doch kein anderes ist, ohne dass etliche sind, die euch verwirren._ 131. Wiederum entschuldigt er die Galater und nimmt die falschen Apostel aufs schaerfste her, als ob er sagen wollte: Ihr Galater, man hat euch beredet, das Evangelium, welches ihr von mir empfangen habt, sei nicht das wahre und echte Evangelium. Darum lasst ihr euch duenken, ihr thaetet wohl daran, dass ihr das Neue, was die falschen Apostel predigen, annehmet, welches besser sein soll als mein Evangelium. Diesen Fehltritt lege ich nicht sowohl euch zur Last als jenen Stoerenfrieden, welche eure Gewissen verwirren und euch aus meiner Hand reissen. 132. Hier siehst du wiederum, wie hitzig und heftig der Apostel wider jene Verfuehrer ist, und wie 1) er sie mit den haertesten Worten durchhechelt, indem er sie Verstoerer der Gemeinden und Verwirrer der Gewissen nennt, welche nichts anderes thun, als dass sie unzaehlige Gewissen verfuehren, verwirren und entsetzlichen Schaden anrichten in der Kirche. Diesen grossen Jammer muessen auch wir heutzutage mit schwerem Herzeleid sehen, und koennen ihm doch ebensowenig abhelfen, als es damals Paulus vermochte. 133. Diese Stelle gibt Zeugniss dafuer, dass die falschen Apostel ohne Zweifel von Paulus gesagt haben, er sei nicht ein vollkommener Apostel, desgleichen, er sei ein schwacher Prediger, der noch im Irrthum stecke. Deshalb nennt er sie hier wiederum Verstoerer der Gemeinden und Verkehrer des Evangeliums Christi. So verdammten sie sich gegenseitig; die falschen Apostel den Paulus, und Paulus wiederum die falschen Apostel. 134. Solcher Streit und solch Verdammen hat zu allen Zeiten in der Kirche statt, besonders, wenn die Lehre des Evangelii in rechter Bluethe steht, naemlich, dass die gottlosen Lehrer die gottseligen verfolgen, verdammen und unterdruecken, und dagegan gottseligen die gottlosen verdammen. Die Papisten und die Schwaermgeister hassen uns heutzutage aufs aeusserste und verdammen unsere Lehre als gottlos und irrig; sodann stehen sie uns auch nach Gut und Leben. Wir hassen wiederum ihre gottlose und laesterliche Lehre von ganzem Herzen (_perfecto odio_) 2) und verdammen dieselbe. Inzwischen bleibt das arme Volk ungewiss und schwankt und zweifelt, wohin es sich wenden soll, wem es sicher folgen koenne; denn nicht einem jeglichen ist es gegeben, ueber so grosse Sachen in christlicher Weise zu richten. 135. Aber am Ausgang wird sich zeigen, wer von beiden recht lehre und den amderen mit Recht verdamme. Es ist gewiss, dass wir niemand verfolgen, niemand unterdruecken oder toedten. Auch verwirrt unsere Lehre die Gewissen nicht, sondern befreit sie aus unzaehligen Irrthuemern und Stricken des Teufels. Dafuer haben wir das Zeugniss vieler frommen Leute, welche Gott dafuer danken, dass sie aus unsere Lehre einen festen Trost des Gewissens geschoepft haben. Wie es nun damals nicht des Paulus Schuld war, dass die Gemeinden verwirrt wurden, sondern der falschen Apostel, so ist es auch heutzutage nicht unsere Schuld, sondern der Wiedertaeufer, Sacramentirer und anderer Schwaermgeister, dass in der Kirche so viele und so grosse Beunruhigungen entstehen. 136. Hier beachte wohl, dass jeder, der Werke lehrt, und dass man aus dem Gesetze Gerechtigkeit erlange, die Gemeinden und die Gewissen verwirrt. Wer haette aber jemals geglaubt, dass der Pabst, Cardinaele, Bischoefe, Moenche und ihre ganze Satansschule, besonders die Stifter der heiligen Orden (deren etliche Gott wunderbarer Weise hat selig machen koennen) solche Leute waern, welche die Gewissen verwirrten? Ja, sie sind sogar schlechter als die falschen Apostel. Denn diese lehrten, dass ausser dem Glauben an Christum auch die Werke des goettlichen Gesetzes zur Seligkeit nothwendig waeren. Jene aber haben den Glauben ganz weggelassen und nur menschliche Satzungen und Werke gelehrt, die Gott nicht geboten hat, sondern von ihnen selbst ohne und wider Gottes Wort erdacht worden sind; und diese haben sie dem Worte Gottes nicht allein gleich gemacht, sondern auch weit darueber erhoben. Aber je groesseren Schein der Heiligkeit die Ketzer haben, desto mehr schaden sie. Denn wenn die falschen Apostel nicht treffliche Gaben, grosses Ansehen und schoenen Schein der Heiligkeit gehabt und sich fuer Diener Christi, Juenger der Apostel und rechtschaffene Prediger des Evangelii ausgegeben haetten, so haetten sie das Ansehen des Paulus nicht so leicht vernichten und die Galater in solcher Weise verfuehren koennen. 137. Er greift sie aber darum so heftig an, und nennt sie Leute, welche die Gemeinden verwirren, weil sie lehrten, dass neben dem Glauben an Christum auch die Beschneidung und die Beobachtung des Gesetzes nothwendig sei zur Seligkeit. Dies bezeugt Paulus selbst nachher im 5. Capitel [V. 1. 2.], und Lucas in der Apostelgeschichte, Cap. 15, 1., mit diesen Worten: "dass etliche herabkamen von Judaea und lehrten die Brueder: Wo ihr euch nicht beschneiden lasset nach der Weise Mosis, so koennt ihr nicht selig werden". Deshalb drangen die falschen Apostel mit grosser Heftigkeit und Hartnaeckigkeit auf das Halten des Gesetzes. 3) Diesen gesellten sich alsbald hartnaeckige Juden zu, welche fest darauf bestanden, dass man das Gesetz halten muesse, und darnach diejenigen, welche nicht wohl im Glauben befestigt waren, leicht beredeten, Paulus sei nicht ein rechtschaffener Lehrer, weil er das Gesetz vernachlaessige. Denn es schien ihnen ganz unleidlich zu sein, das Gesetz Gottes gaenzlich aufgehoben werden sollte, und dass die Juden, welche bisher Gottes Volk gewesen waren, und denen die Verheissungen Gottes geschehen waren, verworfen werden sollten. Darnach schien es ihnen moch unleidlicher zu sein, dass die Heiden, die gottlosen Goetzendiener, ohne Beschneidung, ohne Werke des Gesetzes, allein, aus Gnaden und durch den Glauben an Christum zu dieser Herrlichkeit und Wuerde kommen sollten, dass sie Gottes Volk waeren [usw.] 138. Diese Dinge haben die falschen Apostel aufs bitterste hoch ausgenutzt, um den Paulus bei den Galatern verhasst zu machen; und um ihre Herzen noch mehr wider ihn zu erbittern, sagten sie, er predige, wider das Gesetz Gottes, wider das Herkommen des ganzen juedischen Volkes, wider das Exempel der Apostel, ja, wider sein eigenes Verhalten (_exemplum_), den Heiden die Freiheit vom Gesetze, wodurch er das goettliche Gesetz und das ganze juedische Reich in Verachtung bringe und zu nichte mache. Darum muesse man ihn meiden als einen oeffentlichen Laesterer wider Gott und einen Aufruehrer wider das ganze juedische Regiment; sie aber muesse man hoeren, weil sie ja ausser dem, dass sie das Evangelium recht lehrten, auch noch Juenger der Apostel waeren, mit denen Paulus nie Umgang gehabt haette. In so listiger Weise verunglimpften sie den Paulus bei den Galatern und brachten es dahin, dass die Galater von ihm abfielen. Damit nun die Wahrheit des Evangeliums bei den Galatern erhalten wuerde, musste er sich aus allen Kraeften wider die falschen Apostel setzen. Er nennt sie, indem er sie mit der groessten Zuversicht verdammt, Verwirrer der Gemeinden und Verstoerer des Evangeliums Christi, wie folgt: _Und wollen das Evangelium Christi verkehren._ 139. Das heisst, sie unterstehen sich, nicht allein euch zu verwirren, sondern auch das Evangelium Christi von Grund aus zu vertilgen und zu verkehren. Denn mit diesen beiden Stuecken hat der Satan zu schaffen. Erstlich ist er damit nicht zufrieden, dass er durch seine gottlosen Apostel viele verwirrt und verfuehrt, sondern darnach sucht er durch sie auch das Evangelium ganz und gar umzukehren und wegzunehmen, und ruht nicht, bis dass er es ausgerichtet hat. Jedoch koennen solche Verstoerer des Evangelii nichts weniger hoeren, als dass sie Apostel des Teufels seien, ja, sie ruehmen sich vor anderen des Namens Christi und prahlen, dass sie die reinsten Verkuendiger des Evangelii seien. 140. Aber weil sie das Gesetz mit dem Evangelio vermengen, so muessen sie Verstoerer des Evangelii sein. Denn entweder Christus wird bleiben und das Gesetz fallen, oder das Gesetz wird bleiben und Christus fallen. Denn Christus und das Gesetz koennen auf keine Weise mit einander stimmen, und nicht zugleich im Gewissen herrschen. Wo die Gerechtigkeit des Gesetzes herrscht, da kann die Gerechtigkeit der Gnade nicht herrschen, und wiederum, wo die Gerechtigkeit der Gnade herrscht, da kann die Gerechtigkeit des Gesetzes nicht herrschen. Eines muss dem anderen weichen. Wenn du aber nicht glauben kannst, dass Gott um Christi willen, den er dazu in die Welt gesandt hat, dass er unser Hoherpriester sei, die Suenden ergeben wolle, Lieber, wie koenntest du glauben, dass er um der Werke des Gesetzes willen, die du nie gethan hast, die Suenden vergeben wolle, oder um deiner Werke willen, von denen du doch bekennen musst, sie seien derartig, dass du sie dem Gerichte Gottes unmoeglich entgegen halten koennest? Deshalb kann die Lehre von der Gnade auf keine Weise mit der Lehre des Gesetzes bestehen. Diese muss geradezu verneint und abgethan werden, jene aber muss aufgerichtet werden. 141. Aber gleichwie die Juden einen Abscheu hatten vor der Lehre vom Glauben und von der Gnade, so haben auch wir davor einen Abscheu. Ich moechte gerne zugleich die Gerechtigkeit der Gnade festhalten, die da rechtfertigt, und auch die andere des Gesetzes, um derentwillen Gott mich ansehen sollte. Aber wenn man diese mit jener vermengen will, so heisst das, wie Paulus hier sagt, das Evangelium Christi verkehren. Und dennoch, wenn es zum Streit kommt, so behaelt der groessere Hause den Sieg ueber die, welche recht haben. Denn Christus mit den Seinen ist schwach, auch ist das Evangelium eine thoerichte Predigt. Dagegen das Reich der Welt und ihr Fuerst, der Teufel, ist stark, ja, die Klugheit und die Gerechtigkeit des Fleisches hat einen vortrefflichen Schein. Und so verliert man die Gerechtigkeit der Gnade und des Glaubens und die andere, die Gerechtigkeit des Gesetzes und der Werke, wird aufgerichtet und vertheidigt. Aber das ist under Trost, dass der Teufel mit seinen Gliedern nicht ausrichten kann, was er will. Er kann viele Menschen verwirren, aber das Evangelium Christi kann er nicht umstossen. Die Wahrheit kann zwar in Gefahr kommen, aber untergehen kann sie nicht. Sie wird zwar bestuermt, aber nicht erstuermt, denn Gottes Wort bleibt in Ewigkeit. 142. Es scheint aber eine geringe Sache zu sein, dass das Evangelium und das Gesetz, der Glaube und die Werke vermengt werden, aber das thut mehr Schaden, als die menschliche Vernunft begreifen kann. Denn dies verdunkelt nicht allein die Erkenntniss der Gnade, sondern nimmt Christum mit allen seinen Wohlthaten hinweg, und verkehrt, wie Paulus hier sagt, das ganze Evangelium. Die Ursache dieses so grossen Uebels ist aber unser Fleisch, welches, in Suenden versenkt, keine andere Weise sieht, sich daraus zu befreien, als durch Werke. Darum will der natuerliche Mensch (_caro_) in der Gerechtigkeit des Gesetzes leben und sich zuversichtlich auf seine Werke verlassen. Er weis daher durchaus nichts von der Lehre des Glaubens und der Gnade, ohne welche es doch unmoeglich ist, ein ruhiges Gewissen zu erlangen. 143. Aus diesen Worten Pauli: "Und wollen das Evangelium Christi verkehren", sieht man auch klaerlich, dass die falschen Apostel sehr freche und unverschaemte Menschen gewesen sind, welche sich mit solcher Heftigkeit wider Paulus setzen. Darum tritt auch er wiederum ihnen aufs tapferste entgegen im Vertrauen auf seinen Geist und in voller Gewissheit des Glaubens (_plerophoria_), und erhebt wider sie gewaltiglich (_mirum in modum_) sein Amt, indem er spricht: ---------------- 1) Wittenberger: _quamquam_ statt _quamque_. 2) In der Wittenberger: _profecto_ statt _perfecto_. 3) Wittenberger: "_Legem servandam esse._" Die beiden letzten Worte fehlen in der Jenaer und in der Erlanger. _____________________________________________________________________________ This text was converted to ascii format for Project Wittenberg by Robert A. Oeser and is in the public domain. You may freely distribute, copy or print this text. Please direct any comments or suggestions to: Rev. Robert E. 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