_D. Martin Luthers ausfuerliche Erklaerung der Epistel_ _an die Galater._ Anno 1535 Neu aus dem Lateinischen uebersetzt. Published in: _Dr. Martin Luthers Saemmtliche Schriften_ herausgegeben von Dr. Joh. Georg Walch Neunter Band. _Auslegung des Neuen Testaments._ _(Schluss.)_ (St. Louis, Mo.: Concordia Publishing House, 1893) (cols. 69-78) _Das erste Capitel._ _V. 6. Mich Wundert._ 107. Hier siehst du die Kunst und die Feinheit des Paulus, wie er mit seinen gefallenen Galatern umzugehen weiss, welche durch die falchen Apostel verfuehrt waren. Er greift sie nicht mit heftigen und harten Worten an, sondern redet wahrheit vaeterlich zu ihnen, indem er ihren Fall nicht allein geduldig traegt, sondern such beinahe enschuldigt. Sodann umfasst er sie auch mit muetterlicher Liebe und redet sie ganz zaertlich an, doch so, dass er sie zugleich auch straft, aber mit sehr gewaehlten und dieser Sache klueglich angepassten Worten. Dagegen entbrennt er heftig und ist voll Entruestung wider die falschen Apostel, ihre Verfuehrer, auf welche er die ganze Schuld schiebt. Daher faehrt er gleich im Anfange der Epistel mit lauter Donnerschlaegen und Blitzen wider sie heraus, indem er sagt [V.9]: "So jemand euch Evangelium predigt" [usw.] "der sei verflucht." Und weiter unten, Cap. 5, 10., droht er ihnen mit dem Gerichte: "wer euch irre macht, der wird sein Urtheil tragen, er sei, wer er wolle." Ueberdies flucht er ihnen [Cap. 5, 12.] mit sehr erschrecklichen Worten: "Wollte Gott, dass sie auch ausgerottet wuerden, die euch verstoeren." Das sind fuerwahr greuliche Blitze wider die Gerechtigkeit des Fleisches oder des Gesetzes. 108. Er haette auch die Galater selbst ein wenig unfreundlicher behandeln koennen und sie haerter anfahren, auf diese Weise: O, welch ein schaendlicher Abfall! Ich schaeme mich eurer. Eure Undankbarkeit thut mir wehe, ich muss euch zuernen! Oder er haette auch wie es in Tragoedien zu geschehen pflegt, ausrufen koennen: O schreckliche Zeiten! o greuliche Sitten! [usw.] (_O saecula, o mores!_) Aber weil er damit umgeht, die Gefallenen wieder aufzurichten und sie aus ihrem Irrthum wieder zum reinen Evangelium zurueckzubringen, handelt er mit ihnen, wie ein Vater mit seinen Kindern, enthaelt sich solcher allzugrossen Haerte, besonders im Eingange, und redet sie mit den zaertlichsten und sanftesten Worten an. Denn da er die Verwundeten heilen wollte, waere es nicht zutraeglich gewesen, wenn er durch Anwendung eines ungeeigneten Heilmittels die neugeschlagene Wunde nur noch schlimmer gemacht und so die Verwundeten mehr verletzt als geheilt haette. Deshalb haette er aus den sanften Worten kein passenderes waehlen koennen als: "Mich wundert", durch welches er ausdrueckt, es thue ihm leid, und doch missfalle es ihm, dass sie von ihm abgefallen waeren. 109. Und hier ist Paulus der Vorschrift eingedenk, welche er nachher im sechsten Capitel, V. 1., gibt, da er sagt: "Lieben Brueder, so ein Mensch etwa von einem Fehl uebereilt wuerde, so helfet ihm wieder zurecht mit sanftmuethigem Geist, die ihr geistlich seid." Dieses Exempel sollen auch wir nachahmen, dass wir gegen arme und verfuehrte Juenger so gesinnt seien wie Eltern gegen ihre Kinder, damit sie unseren vaeterlichen Eiser und unsere muetterliche Zuneigung zu ihnen erkennen, und sehen, dass wir nicht ihr Verderben, sondern ihre Seligkeit suchen. Aber gegen den Teufel und seine Diener, die Urheber der Verfuehrung und der Rotten, sollen wir nach dem Beispiel des Apostels keine Geduld ueben, stolz, herbe und unversoehnlich sein, und ihre Taeuscherei und Truegerei aufs schaerfste durchziehen, verwuenschen und verdammen. So pflegen auch Eltern, wenn ihr Kind von einem Hunde gebissen worden ist, nur den Hund zu verfolgen, das weinende Kind aber liebkosen sie und troesten es mit den fuessesten Worten. 110. Darum ist in Paulus ein Geist, der es wunderbar gut versteht, die gefallenen und betruebten Gewissen recht zu behandeln. Dagegen faehrt der Pabst in tyrannischer Weise hindurch, weil er von dem Geiste der Bosheit getrieben wird, schleudert nur Blitze und Flueche wider die Elenden und Erschreckten, wir man aus seinen Bullen sehen kann, besonders aus der am Gruendonnerstage (_coenae_). Und die Bischoefe richten ihr Amt auch nicht besser aus, sie lehren das Evangelium nicht, sie bekuemmern sich nicht um das Heil der Seelen, sondern trachten nur nach Herrschaft. Darum reden und thun sie alles auch nur in solche Weise, dass sie diese Herrschaft befestigen und unverletzt erhalten. Ebenso sind auch alle Lehrer gesinnt, die nach eitler Ehre trachten [usw.] _Dass ihr euch so bald._ 111. Du siehst, dass Paulus selbst darueber klagt, wie leicht ein Fall im Glauben geschieht. Daher ermahnt er die Christen anderswo [1 Cor. 10, 12.]: "Wer steht, der sehe wohl zu, dass er nicht falle." Auch wir erfahren taeglich, wie schwer es haelt, dass das Herz einen festen Glauben erlange und behalte; desgleichen, mit die grosser Schwierigkeit dem Herrn ein bereites Volk zugerichtet werde [Luc. 1, 17.]. Man muss wohl zehn Jahre arbeiten, ehe ein Gemeindlein recht und christlich geordnet zugerichtet wird, und wenn es zugerichtet ist, schleicht sich irgend ein Schwaermer ein, und zwar ein Dummkopf, der nichts versteht als schmaehen wider diejenigen, welche das Wort lauter und rein lehren; ein solcher stoetzt in einem Augenblick alles um. Wer sollte nicht heftig entruestet erden ueber diese Unbilde? 112. Wir haben, durch Gottes Gnade, hier in Wittenberg eine christliche Gemeinde in rechter Gestalt zugerichtet; das Wort wird rein bei uns gelehrt, die Sacramente stehen in rechtem Brauch, Ermahnungem gehen im Schwange, es geschehen auch Gebete fuer alle Staende, kurz, alles ist in bestem Gedeihen. Diesen ganz gluecklichen Lauf des Evangelii koennte irgend ein schwaermerischer Mensch gar bald hindern, und er moechte in einem Augenblick das umstossen, was wir in vielen Jahren mit grosser Arbeit aufgebaut haben. 113. So ist es Paulus, dem auserwaehlten Ruestzeuge Christi, ergangen. Er hatte die Gemeinden in Galatien mit grosser Sorge und Arbeit zugerichtet; diese verkehrten die falschen Apostel nach seinem Weggange in kurzer Zeit. Das wird durch diese seine gegenwaertige Epistel bezeugt, auch durch andere [usw.] So schwach und elend geht es in diesem Leben zu, und so gar wandeln wir mitten under den Stricken des Satans, dass ein einziger Schwaermgeist in so kurzer Zeit das zerstoeren und von Grund aus umstuerzen kann, was viele rechte Prediger in einer Reihe von Jahren durch muehselige Arbeit bei Tag und bei Nacht aufgebaut haben. Dies lernen wir auch heutzutage aus der Erfahrung zu unserem grossen Herzeleid, koennen aber diesem Uebel dennoch nicht abhelfen. 114. Weil nun die Kirche etwas so Weiches und Zartes ist und sie so leicht vekehrt wird, so muss man wohl auf seiner Hut sein wider diese Schwaermgeister, welche sich, wenn die nur einige Predigten gehoert, oder einige Seiten in der heiligen Schrift gelesen haben, alsbald zu Meistern ueber alle aufwerfen, ueber Schueler und Lehrer, wider alle, die im Amte stehen (_contra omnium autoritatem_). Solcher Leute kannst du heutzutage eine ganze Anzahl auch unter den Handwerkern finden, dummdreiste Leute, welche, durch keine Anfechtungen geprueft, nie gelernt haben, Gott zu fuerchten, nie die Gnade auch nur im allergeringsten geschmeckt haben. 115. Weil sie ohne den Geist [Gottes] sind, so lehren sie, was ihnen gefaellt, und was dem Poebel leicht eingeht. Da faellt ihnen dann der unterfahrene Poebel sofort zu, der begierig ist, Neues zu hoeren. Ja, auch viele, welche sich duenken lassen, dass sie die Lehre des Glaubens wohl gefasst haben, und durch Anfechtungen etlichermassen versucht sind, werden von ihnen verfuehrt. 116. Da uns nun Paulus hier aus seiner eigenen Erfahrung lehrt, dass die Gemeinden, welche mit ueberaus grosser Arbeit zugerichtet worden sind, leicht und bald verkehrt werden, so muessen wir mit der groessten Sorgfalt wachen wider den Teufel, der umhergeht, damit er nicht komme, waehrend wir schlafen, und Unkraut unter den Weizen saee. Es droht der christlichen Heerde Gefahr vom Satan, wenn auch die Hirten noch so wachsam und wacker sind. Denn Paulus hatte, wie ich [Paragraph 113] gesagt habe, mit der groessten Muehe und Treue die Gemeinden in Galatien gepflanzt, und kaum hatte er (wie man sagt) den Fuss vor das Thor gesetzt, so verkehrten dennoch die falschen Apostel etliche derselben, deren Fall spaeter eine so ungeheuer grosse Verwuestung in den Gemeinden der Galater nach sich zog. Dieser ploetzliche und so grosse Schade ist dem lieben Apostel ohne Zweifel bitterer geweseb als der Tod. Darum wollen wir mit allem Fleisse wachen, erstlich, ein jeglicher fuer sich selbst, darnach auch die Lehrer, nicht allein fuer sich, sondern auch fuer die ganze Kirche, damit wir nicht in Versuchung fallen. _Abwenden lasset._ 117. Wiederum gebraucht er, nicht ein hartes, sondern ein sanftes Wort. Er sagt nicht: Ich wundere mich, dass ihr so bald abgefallen seid, dass ihr so ungehorsam, leichtfertig, unbestaendig, undankbar seid, sondern, dass ihr euch so bald "abwenden lasset", als ob er sagen wollte: Ihr seid nur leidend, ihr habt nicht Schaden gethan, sondern Schaden erlitten. Um nun die Gefallenen wieder zu gewinnen, klagt er wielmehr die Abwender als die Abgewendeten an. Doch zugleich straft er sie, wiewohl mit grosser Bescheidenheit, da er darueber klagt, dass sie abgewendet seien, als ob er sagen wollte: Wiewohl ich euch herzlich lieb habe, wie ein Vater seine Kinder, un weiss, dass ihr nicht durch eure Schuld, sondern durch die Schuld der falschen Apostel gefallen seid, so haette ich dennoch wuenschen moegen, dass ihr in der rechten Lehre etwas mehr Festifkeit gezeigt haettet. Ihr habt das Wort nicht genugsam ergriffen, ihr seid nicht fest gunug gegruendet. Deshalb lasst ihr euch durch ein leises Luestlein und durch einen geringen Wind so bald abwenden. 118. Hieronymus ist der Meinung, dass Paulus das Wort "Galater" habe uebersetzen wollen durch die Anspielung auf das hebraeische Wort [nlh], er ist abgewandt, als ob er sagen wollte: Ihr seid dem Namen und der That nach rechte Galater, das heisst: Abgewandte. 119. Etliche halten dafuer, dass wir Deutschen von den Galatern abstammen, und diese Vermuthung ist vielleicht nicht ohne Grund. Denn wir Deutschen haben einen Charakter, welcher dem der Galater nicht sehr unaehnlich ist, und ich muss sagen, ich wuensche, dass unsere Landsleute etwas mehr Festigkeit und Bestaendigkeit haetten. Denn in allen Dingen sind wir im ersten Anfange ueberaus hitzig. Aber sobald die Hitze der ersten Aufregung verflogen ist, werden wir bald allzu laessig, und mit derselben Hast (_temeritate_), mit welcher wir die Sachen anfangen, werfen wir sie wieder von uns und lassen sie anstehen. Zuerst, als nach der so grossen Finsterniss der menschlichen Satzungen das Licht des Evangelii aufging, befleissigten sich viele eines christlichen Wandels, hoerten mit grosser Begierde die Predigten, und hielten die Diener des Wortes in Ehren. Jetzt aber, da das Wort so guten Fortgang gehabt hat, und die christliche Lehre so wohl gereinigt worden ist, werden viele aus Schuelern [des Wortes] Veraechter und Feinde, welche nicht allein das Studiren des Wortes vernachlaessigen, sondern auch alle anderen guten Kuenste und Wissenschaften hassen, und gaenzlich Saeue und Bauchdiener werden, die wohl wuerdig sind, dass man sie den "unverstaendigen" Galatern [Gal. 3, 1. 3.] vergleiche. _Von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi._ 120. Diese Stelle ist etwas zweideutig, denn sie kann auf zweierlei Weise construirt werden; erstens: Von dem Christo, welcher euch zur Gnade berufen hat; zweitens: Von dem, naemlich von Gotte, der euch zu der Gnade Christi berufen hat. Ich nehme die erstere Fassung an. Denn das gefaellt mir wohl, dass Paulus, wie er kurz vorher von Christo ausgesagt hat, dass er der Erloeser sei, der uns durch seinen Tod von dieser argen Welt frei macht, desgleichen, dass er uns gleicher Weise wie Gott der Vater Gnade und Frieden gebe, so auch hier ihm beilege, dass er uns zur Gnade berufe. Denn damit geht Paulus vor allen Dingen um, dass er uns die Wohlthat Christi fest einpraege, durch welche wir zum Vater kommen. 121. Es ist auch in diesen Worten: "Von Christo, der euch in die Gnade berufen hat", ein Nachdruck und ein Gegensatz, als ob er sagen wollte: Ach wie leicht lasset ihr euch von Christo reissen und abwenden, der euch berufen hat, nicht zum Gesetze, Werken, Suende, Zorn, Verdammniss, wie Moses, sondern zu lauter Gnade. 122. So klagen auch wir heutzutage mit Paulus, dass die Blindheit und Verkehrtheit der Menschen ganz erschrecklich sei, dass niemand die Lehre von der Gnade und Seligkeit aufnehmen will, oder, wenn auch etliche wenige sie aufnehmen sie doch bald wiederum von derselben abfallen, obgleich sie doch alle Gueter mit sich bringt, geistliche und leibliche, naemlich Vergebung der Suenden, wahre Gerechtigkeit, Frieden des Herzens und ewiges Leben. Sodann bringt sie uns Licht und gibt uns ein gewisses Urtheil ueber alle Lehre und jeglichen Stand, billigt und bestaetigt das Weltregiment, das Hauswesen und alle Staende, die Gott gestiftet und geordnet hat. Sie zerstoert die Lehren, welche zu Irrthum, Aufruhr und Verwirrung [usw.] Anlass geben, nimmt den Schrecken der Suende und des Todes hinweg, kurz, sie deckt alle listigen Anschlaege und Werke des Teufels auf, und offenbart Gottes Wohlthat und Liebe gegen uns in Christo. Was, o Jammer! ist das fuer ein Raserei, dass die Welt dieses Wort, dieses Evangelium des ewigen Trostes, der Gnade, der Seligkeit und des ewigen Lebens so bitter hasst, mit so teuflischer Wuth laestert und verfolgt! 123. Paulus nennt oben die gegenwaertige Welt eine arge, dass heisst, das Reich des Teufels; sonst wuerde sie die Wohlthat und die Barmherzigkeit Gottes erkennen. Aber weil sie unter der Gewalt des Teufels ist, darum verachtet und verfolgt sie dieselben ganz sicher und feindselig, denn sie liebt die Finsterniss, Irrthum und des Teufels Reich mehr als das Licht, die Wahrheit und das reich Christi. Und dies thut sie nicht aus Unwissenhet oder Irrthum, sondern aus teuflischer Bosheit. Das kommt dadurch ganz klar an den Tag, dass Christus, Gottes Sohn, damit, dass er sich selbst fuer die Suende aller Menschen in den Tod gegeben hat, bei der verkehrten und gottlosen Welt nicht Anders verdienen kann, als dass sie ihn fuer diese unermessliche Wohlthat laestert. sein heilsames Wort verfolgt und ihn gerne noch einmal ans Kreuz schlagen wuerde, wenn sie es nur koennte. Darum wandelt die Welt nicht allein in Finsterniss, sondern ist auch selbst die Finsterniss, wie John. 1, 5. geschreiben steht. 124. Darum macht Paulus diese Worte gross: "Von Christo, der euch berufen hat" [usw.], und dringt verdeckter Weise auf den Gegensatz (_antithesin_) derselben, als ob er sagte: Meine Predigt ist nicht von den harten Gesetzem Mosis gewesen, und ich habe euch auch nicht gelehrt, dass ihr Knechte sein solltet unter dem Joche; sondern lauter Gnade und Freiheit von dem Gesetze, der Suende [usw.] habe ich euch gepredigt, naemlich, dass Christus euch barmherziglich in die Gnade berufen hat, damit ihr Kinder waeret unter Christo, nicht Knechte unter Mose, dessen Juenger ihr nun wiederum geworden seid auf Anstiften eurer falschen Apostel, die durch das Gesetz Mosis nicht zur Gnade rufen, sondern zum Zorn und Hass gegen Gott, zu Suende und Tod. Aber Christi Ruf ist ein Ruf zu Gnade und Seligkeit. Denn die durch ihn Berufenen erlangen fuer das traurige Gesetz das froehliche Evangelium, werden aus dem Zorn in die Gnade versetzt, aus der Suende in die Gerechtigkeit, aus dem Tode in das Leben. Und ihr lasst euch von einer solchen lebendigen Quelle, die da sprudelt und ueberfliesst von Gnade und Leben, wieder anderswohin reissen, und zwar so schnell und so leicht? Wenn aber Moses durch Gottes Gesetz zu Gottes Zorn und Suende beruft, wozu wird uns dann wohl der Pabst berufen mit seinen Menschensatzungen? --- Der andere Verstand, dass der Vater zu der Gnade Christi veruft, ist auch gut, abder der erstere von Christo ist lieblicher und geeigneter, bestruebte Gewissen zu troesten. _Auf ein anderes Evangelium._ 125. Hier sollen wir die schlauen Kunstgriffe und listigen Anschlaege des Teufels ansehen lernen. Kein Ketzer kommt unter dem Namen des Irrthums und des Teufels, und auch der Teufel selbst kommt nicht als Teufel, besonders der weisse Teufel. Ja, auch der schwarze Teufel macht, wenn er zu oeffentlichen Schandthaten antreibt, dem Menschen eine Decke, dass er die Suende, welche er begehen will, oder begeht, verkleinere. Ein Moerder in seiner Wuth sieht nicht, dass Mord eine so grosse und erschreckliche Suende sei, wie er in Wahrheit ist, denn er hat die Decke. Ehebrecher, Diebe, Geizhaelse, Trunkenbolde [usw.] haben ihre Beschoenigungen und Decken. So hat auch der schwarze Satan in allen seinen Werken und Anschlaegen eine Maske vor und ist geschminkt. 126. Aber in geistlichen Dingen, wo nicht der schwarze, sondern der weisse Satan auftritt, und sich ausgibt fuer einen Engel und Gott, da uebertrisst er sich selbst in der schauesten Verstellung, in den wunderbarsten Kunstgriffen, die er anwendt, um zu betruegen, und pflegt sein allerschaedlichstes Gift fuer Lehre von der Gnade, fuer Gottes Wort, fuer das Evangelium Christi zu verkaufen. Deshalb nennt Paulus die Lehre der falschen Apostel, der Diener des Teufels, auch ein Evangelium, indem er sagt: "Auf ein anderes Evangelium", aber ironisch, als ob er sagen wollte: Ihr Galater habt nun andere Evangelium, ihr habt ein anderes Evangelium, das meinige ist jezt bei euch verachtet, gilt nichts mehr. 127. Hieraus kann leicht erkannt werden, dass die falschen Apostel das Evangelium des Paulus bei den Galatern verdammt haben, indem die sagten: Paulus hat zwar gut angefangen, aber es ist nicht genug, dass man gut angefangen habe, denn es sind noch hoehere Dinge uenrig [die auch gepredigt werden muessen]; wie sie Apost. 15, 1. sagen: Es ist nicht genug, dass man an Christum glaube, es ist nicht genug, dass man getauft sei, sondern ihr muesst euch auch beschneiden lassen; denn "wo ihr euch nicht beschneiden lasset nach der Weise Mosis, so koennt ihr nicht selig werden". Das ist aber soviel gesagt: Christus ist ein guter Zimmermann, der den Bau zwar angefangen, aber nicht fertig gemacht hat, denn das muss Moses thun. 128. So sagen heutzutage die Rottengeister, Wiedertaeufer und andere, auch, da sie uns nicht rund heraus verdammen koennen: Die Lutheraner haben den Geist der Furcht; sie wagen es nicht, die Wahrheit frei heraus zu bekennen und hindurchzureissen. Sie haben zwar den Grund gelegt, das heisst, sie haben den Glauben an Christum wohl gelehrt; aber Anfang, Mittel und Ende muessen mit enander verbunden werden. Dies zu thun ist ihnen von Gott nicht gegeben, sondern uns. So verherrlichen die verkehrten und teuflischen Menschen ihre gottlosen Predigten und nennen sie Gottes Wort und betruegen dadurch viele Leute unter Gottes Namen. Denn der Teufel will in seinen Dienern nicht haesslich und schwarz sein, sondern rein und weiss, und, um so zu erscheinen, legt er alle seine Worte und Werke in der Weise vor, dass er sie schmueckt mit dem Titel (_praetextu_) der Wahrheit und dem Namen Gottes. Daher ist bei uns Deutsch das wohlbekannte Spruechwort entstanden: In Gottes Namen hebt sich alles Unglueck an. 129. Deshalb lasst uns lernen, dass dies der rechte Kunstgriff des Teufels ist, dass er, wenn er durch Verfolgen und Zerstoeren nicht Schaden thun kann, dies durch Bessermachen und Bauen ausrichtet. So verfolgt er uns heutzutage mit Gewalt und Schwert, um wenn er uns vertilgt hat, das Evangelium nicht allein zu verfinstern, sondern ganz auszurotten. Aber bis jetzt hat er nichts ausgerichtet, denn er hat viele getoedtet, welche standhaft bekannt haben, dass diese unsere Lehre heilig und goettlich sei. Durch das Blut dieser [Maertyrer] ist aber die Kirche nicht zerstoert, sondern befruchtet (_rigata_). Da er nun auf diese Weise nichts erreicht hat, so stifet der boese Geist gottlose Lehrer an, welche zuerst unsere Lehre gutheissen und sie einhellig mit uns lehren, nachher aber sagen: es sei unser Beruf, die ersten Clemente der christlischen Lehre vorzutragen, aber ihnen seien von Gott die rechten Geheimnisse der Schrift offenbart und sie seien dazu berufen, diese der Welt kund zu thun. 130. Auf diese Weise verhindert der Satan den Lauf des Evangelii zur Rechten und zur Linken. Doch zur Rechten thut er, wie gesagt, viel mehr Schaden durch Bauen und Bessermachen als zur Linken durch Verfolgen und Toedten. Deshalb muessen wir ohne Unterlass beten, lesen und an Christo und seinen Worten hangen, um die listigen Anschlaege des Teufels zu ueberwinden, mit denen er uns zur Rechten und zur Linken angreist. "Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kaempfen" [usw.] Eph. 6,12. _____________________________________________________________________________ This text was converted to ascii format for Project Wittenberg by Robert A. Oeser and is in the public domain. You may freely distribute, copy or print this text. Please direct any comments or suggestions to: Rev. Robert E. Smith Walther Library Concordia Theological Seminary E-mail: smithre@mail.ctsfw.edu Surface Mail: 6600 N. Clinton St., Ft. Wayne, IN 46825 USA Phone: (260) 452-3149 Fax: (260) 452-2126 _____________________________________________________________________________