_D. Martin Luthers ausfuerliche Erklaerung der Epistel_ _an die Galater._ Anno 1535 Neu aus dem Lateinischen uebersetzt. Published in: _Dr. Martin Luthers Saemmtliche Schriften_ herausgegeben von Dr. Joh. Georg Walch Neunter Band. _Auslegung des Neuen Testaments._ _(Schluss.)_ (St. Louis, Mo.: Concordia Publishing House, 1893) PART 4 _Um was es sich in der Epistel St. Pauli an die Galater handelt._ 1. Vor allen Dingen muss gesagt werden, um was es sich handelt, dass heisst, womit Paulus in dieser Epistel zu schaffen habe. Es handelt sich aber darum: Paulus will die Lehre vom Glauben, von der Gnade, von der Vergebung der Suenden oder der christlichen Gerechtigkeit so befestigen, dass wir die voellige Erkenntniss und den gewissen Unterschied zwischen der christlichen Gerechtigkeit und allen anderen Gerechtigkeiten haben. Denn es gibt vielerlei Gerechtigkeit: eine ist die weltliche, mit welcher der Kaiser, die Fuersten der Welt, Philosophen und Juristen zu thun haben. Eine andere ist die ceremoniale, die durch menschliche Satzungen gelehrt wird, wie die Satzungen des Pabstes und aehnliche sind. Hausvaeter und Schulmeister lehren dieselbe ohne Gefahr, weil sie ihr nicht die Kraft beilegen, als koenne man dadurch fuer die Suende genugthun, Gott versoehnen und Gnade verdienen, sondern sie lehren die Ceremonien nur als nothwendig zur aeusserlichen Zucht und zu einer gewissen Ordnung. Ausserdem gibt es noch eine andere, naemlich die Gerechtigkeit des Gesetzes oder der zehn Gebote, welches Moses lehrt. Diese lehren auch wir, nachdem wir die Lehre des Glaubens zu Grunde gelegt haben. 2. Weiter und ueber alle diese ist die Gerechtikeit des Glaubens oder die christiche Gerechtigkeit, welche man aufs sorgfaeltigste von den zuvorgenannten unterscheiden muss. Denn die zuvorgenannten sind dieser ganz und gar entgegengesetzt, einestheils weil sie aus den Gesetzen der Kaiser, aus den Satzungen des Pabstes und aus den Geboten Gottes herfliessen, anderntheils weil sie mit unseren Werken zu schaffen haben, und von uns geschehen koennen, sei es nun aus rein natuerlichen Kraeften (wie die Schultheologen [_sophistae_] davon reden), oder sei es auch aus Gottes Gabe (denn auch diese Gerechtigkeiten der Werke sind Gottes Gaben, wie andere Gueter, welche wir haben). 3. Diese aber, naemlich des Glaubens Gerechtigkeit, ist die allerkoestlichste, welche Gott uns um Christi willen ohne unsere Werke zurechnet, ist auch nicht eine weltliche, noch eine ceremoniale, noch eine Gerechtigkeit aus dem goettlichen Gesetze, hat auch nicht mit unseren Werken zu schaffen, sondern ist voellig verschieden, das heisst, eine nur leidende Gerechtigkeit (gleichwie jene zuvorgenannten thaetige Gerechtigkeiten sind). Denn dabei wirken wir nichts, haben auch nichts, das wir Gotte gaeben, sondern empfangen nur, und leiden, dass ein anderer, naemlich Gott, in uns wirke. Deshalb kann man diese Gerechtigkeit des Glaubens oder die christliche Gerechtigkeit wohl eine leidende Gerechtigkeit nennen. 4. Und dies ist die Gerechtigkeit, die im Geheimniss verborgen ist [Col. 1, 26], welche die Welt nicht versteht, ja, die Christen fassen sie nicht genugsam, und es haelt schwer, dass sie dieselbe in Anfechtungen ergreifen. Darum muss sie immer eingeschaerft und ohne Unterlass getrieben werden. Und wer sie in Truebsalen und Schrecken des Gewissens nicht festhaelt oder ergreift, der kann nicht bestehen. Denn es gibt keinen anderen so festen und gewissen Trost der Gewissen als diese leidende Gerechtigkeit. 5. Aber das Unvermoegen und das Elend des Menschen ist derartig, dass wir in Gewissensnoethen und in Todesgefahr auf nichts Anderes sehen als auf unsere Werke, unsere Wuerdigkeit und das Gesetz. Wenn dies uns unsere Suende zeigt, so kommt uns sofort in den Sinn, wie uebel wir unser Leben zugebracht haben. Da seufzt dann der Suender in grossem Herzeleid und denkt bei sich selbst: Ach, wie gottlos habe ich gelebt! Wollte Gott, dass ich noch laenger zu leben haette, dann wollte ich mein Leben bessern [usw]. Und es kann sich die menschliche Vernunft (so sehr ist dieses Uebel bei uns eingewurzelt, und so sehr haben wir diese unglueckliche Beschaffenheit [_exin_] gewonnen) aus diesem Trugbilde der thaetigen oder eigenen Gerechtigkeit nicht herauswinden und sich nicht dazu erheben, dass sie die leidende oder christliche Gerechtigkeit ansehe, sondern bleibt einfach an der thaetigen haengen. 6. Jedem nun der Satan die Schwachheit der Natur missbraucht, vermehrt und schaerft er diese Gedanken. Daher kann es nicht anders kommen, als dass das Gewissen nur um so mehr erzittere, bestuerzt und erschrocken werde. Denn es ist unmoeglich, dass das menschliche Herz aus sich selbst Trost schoepfe und allein die Gnade im Auge habe, wenn es die Suende fuehlt und davor erschrickt, oder dass es die Disputation ueber die Werke [usw.] standhaft von sich werfe. Denn dies liegt ausserhalb der Kraefte, Gedanken und des Fassungsvermoegens der Menschen und sogar ausserhalb des Gesetzes Gottes. Das Gesetz Gottes ist zwar das Hoechste von allem, was in der Welt ist, aber soviel fehlt daran, dass es ein erschrockenes Gewissen getrost machen koennte, das es dasselbe sogar noch mehr in Betruebniss versenkt und zur Verzweiflung bringt. Denn "durch das Gesetz wird die Suende ueberaus suendig". Roem. 7, 13. 7. Deshalb hat ein betruebtes Gewissen keine Huelfe wider die Verzweiflung und den ewigen Tod, wenn es nicht die Verheissung der in Christo dargebotenen Gnade ergreift, das heisst, diese leidende oder christliche Gerechtigkeit des Glaubens; wenn es diese ergriffen hat, so kann es sich zufrieden geben und zuversichtlich sprechen: Ich suche nicht die thaetige Gerechtigkeit, die ich zwar haben und thun sollte; aber wenn ich sie gleich haette und thaete, so kann ich doch darauf nicht mein Vertrauen setzen, sie auch dem Gerichte Gottes nicht entgegenstellen. Deshalb entschlage ich mich aller thaetigen und eigenen Gerechtigkeit und der Gerechtigkeit des goettlichen Gesetzes, und ergreife allein die leidende Gerechtigkeit, die da ist die Gerechtigkeit der Gnade, der Barmherzigkeit, der Vergebung der Suenden, kurz, Christi und des Heiligen Geistes, welche wir nicht thun, sondern leiden, nicht haben, sondern empfangen, indem Gott der Vater sie uns gibt durch Jesum Christum. 8. Gleichwie die Erde selbst den Regen nicht hervorbringt, ihn auch nicht durch irgend ein eigenes Werk, Arbeit oder Kraefte erlangen kann, sondern ihn nur durch eine himmlische Gabe von oben herab empfaengt [Hebr. 6, 7.], so wird uns, ohne unser Werk und Verdienst, von Gott diese himmlische Gerechtigkeit geschenkt. So viel daher die duerre Erde von sich selbst etwas dazu wirken kann, dass ihr ein reichlicher und recht erwuenschter Regen zutheil werde, so viel koennen auch wir Menschen aus unseren Kraeften und Werken zuwege bringen, dass uns jene goettliche himmlische und ewige Gerechtigkeit zutheil werde, es sei denn, dass wir sie umsonst durch Zurechnung und durch die unaussprechliche Gabe Gottes erlangen. Darum ist die hoechste Kunst und Weisheit der Christen, dass sie das Gesetz nicht wissen, die Werke und die ganze thaetige Gerechtigkeit nicht kennen, besonders wenn das Gewissen mit dem Gerichte Gottes ringt, gleichwie es ausserhalb des Volkes Gottes die hoechste Weisheit ist, dass man das Gesetz, Werke und thaetige Gerechtigkeit kenne, vor Augen habe und darauf dringe. 9. Es ist aber eine wunderliche und vor der Welt unerhoerte Sache, dass man die Christen lehre, dass sie lernen sollen, das Gesetz nicht zu kennen, und dass sie so vor Gott leben sollen, als ob ganz und gar kein Gesetz waere. Denn wenn du das Gesetz nicht unbeachtet laessest, und in deinem Herzen fest darauf bestehst, dass kein Gesetz und kein Zorn Gottes da sei, sondern lauter Gnade und Barmherzigkeit um Christi willen, so kannst du nicht selig werden. "Denn durch das Gesetz kommt Erkenntniss der Suende" [usw.] [Roem. 3, 20.] 10. Wiederum muss in der Welt so auf das Gesetz und die Werke gedrungen werden, als ob durchaus keine Verheissung oder Gnade da waere, und zwar um der halsstarrigen, stolzen und verhaerteten Leute willen, denen man nichts Anderes vor Augen stellen muss als das Gesetz, damit sie erschreckt und gedemuethigt werden. Denn dazu ist das Gesetz gegeben, dass es solche Leute gewaltig schrecke und toedte und den alten Menschen wohl plage. Beides, das Wort der Gnade und des Zorns, muss recht getheilt werden, wie der Apostel lehrt 2 Tim. 2, 15. 11. Hier ist nun ein kluger und treuer Haushalter Gottes vonnoethen, der das Gesetz so maessige, dass es in seinen Schranken bleibe. Wer da lehrt, dass es in seinen Schranken bleibe. Wer da lehrt, dass die Menschen durch das Gesetz vor Gott gerechfertigt werden, der ueberschreitet die Grenzen des Gesetzes und vermengt diese beiden Gerechtigkeiten, die thaetige und die leidende, und ist ein schlechter Dialecticus, weil er nicht recht theilt. 12. Wiederum, wer das Gesetz und die Werke dem alten Menschen, die Verheissung, aber und die Gnade dem neuen Menschen vorlegt, der theilt recht. Denn das Fleisch oder der alte Mensch, Gesetz und Werke muessen mit einander verbunden werden, so auch der Geist oder der neue Mensch mit der Verheissung und Gnade. Deshalb, wenn ich sehe, dass ein hinlaenglich Zerschlagener Mensch durch das Gesetz bedraengt wird, durch die Suende erschreckt ist und nach Trost duerstet, dann ist es Zeit, dass ich ihm das Gesetz und die thaetige Gerechtigkeit aus den Augen ruecke und ihm durch das Evangelium die leidende Gerechtigkeit vorlege, welche Moses mit seinem Gesetz ausschliesst und die Verheissung von Christo anbietet, welcher um der Betruebten und um der Suender willen gekommen ist. Da wird denn der Mensch ausgerichtet und empfaengt Hoffnung, und ist nicht mehr unter dem Gesetze, sondern unter der Gnade, wie der Apostel sagt [Roem. 6, 14.]: "Ihr seid nun nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade." Wie ist er nicht unter dem Gesetze? Nach dem neuen Menschen, den das Gesetz nichts angeht. Denn es hat seine Grenzen bis auf Christum, wie Paulus weiter unten sagt [Roem. 10, 4. Gal. 3, 17.19.24.]: "Das Gesetz waehret bis auf Christum." Da er kommt, hoert Moses auf mit dem Gesetz, der Beschneidung, den Opfern, dem Sabbath, es hoeren auch alle Propheten auf. 13. Dies ist unsere Theologie, nach welcher wir lehren, diese beiden Gerechtigkeiten, die thaetige und die leidende, deutlich zu unterscheiden, damit nicht Leben und Glaube, Werke und Gnade, Weltregiment und Gottesdienst mit einander vermengt werden. Es ist aber beiderlei Gerechtigkeit nothwendig, doch muss man eine jegliche in ihren Schranken lassen. Die christliche Gerechtigkeit gehoert fuer den neuen Menschen, aber die Gerechtigkeit des Gesetzes fuer den alten Menschen, der aus Fleisch und Blut geboren ist. Diesem muss gleichwie einem Esel eine Last aufgelegt werden, die ihn druecke, und er soll der Freiheit des Geistes oder der Gnade nicht geniessen, es sei denn, er habe zuvor den neuen Menschen angezogen durch den Glauben an Christum (was aber in diesem Leben nicht vollkoemmlich geschieht): dann mag er des Reiches und der Gabe der unaussprechlichen Gnade geniessen. 14. Dies sage ich darum, damit nicht jemand meine, als ob wir gute Werke verwerfen oder verhindern, wie die Papisten uns faelschlich anklagen, indem sie nicht verstehen, weder was sie selbst reden, noch auch was wir lehren. Sie kennen nichts, als allein die Gerechtigkeit des Gesetzes, und doch wollen sie Richter sein ueber die Lehre, welche weit ueber dem Gesetz erhaben ist und ueber dasselbe hinausgeht, ueber welche ein fleichlicher Mensch unmoeglich richten kann. Deshalb muessen sie sich nothwendigerweise aergern, weil sie nicht hoeher hinauf sehen koennen als auf das Gesetz. Darum gereicht ihnen alles, was hoeher ist als das Gesetz, zum groessten Aergerniss. 15. Wir aber setzen gleichsam zwei Welten, eine himmlische und eine irdische. In diesen weisen wir diesen beiden gesonderten und von einander weit getrennten Gerechtigkeiten ihren Platz an. Die Gerechtigkeit des Gesetzes ist irdisch, hat mit irdischen Dingen zu schaffen, durch diese thun wir gute Werke. Aber gleichwie die Erde keine Fruechte hervorbringt, wenn sie nicht zuvor vom Himmel herab befeuchtet und fruchtbar gemacht worden ist (denn die Erde kann den Himmel nicht meistern, erneuern und regieren, sondern umgekehrt, der Himmel meistert, erneuert, regiert und befruchtet die Erde, damit sie thue, was der Herr befohlen hat): so thun auch wir nichts, wenn wir durch die Gerechtigkeit des Gesetzes vieles thun, und erfuellen das Gesetz nicht, wenn wir das Gesetz erfuellen, es sei denn, dass wir zuvor ohne unser Werk und Verdienst gerechtfertigt seien durch die christliche Gerechtigkeit, welche gar nichts zu thun hat mit der Gerechtigkeit des Gesetzes oder der irdischen und thaetigen Gerechtigkeit. Diese aber ist die himmlische und leidende Gerechtigkeit, welche wir nicht haben, sondern vom Himmel empfangen, nicht thun, sondern durch den Glauben ergreifen, durch welchen wir ueber alle Gesetze und Werke emporsteigen. "Wie wir das Bild des irdischen Adam getragen haben", sagt Paulus [1 Cor. 15, 49.], "also werden wir auch tragen das Bild des himmlischen", welcher ein neuer Mensch in einer neuen Welt ist, wo kein Gesetz ist, keine Suende, kein Gewissen, kein Tod, sondern ganz ungestoerte Freude, Gerechtigkeit, Gnade, Friede, Leben, Seligkeit und Herrlichkeit. 16. Thun wir also nichts, wirken wir nichts, diese Gerechtigkeit zu erlangen? Ich antworte: Nichts; denn diese Gerechtigkeit ist, dass man ganz und gar nichts thue, nichts hoere, nichts wisse vom Gesetz oder von Werken, sondern allein dies wisse und glaube, dass Christus zum Vater gegangen sei und hinfort nicht mehr gesehen wird; dass er sitze im Himmel zur Rechten des Vaters, nicht als ein Richter, sondern "uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erloesung" [1 Cor. 1, 30.], kurz, dass er unser Hoherpriester sei, der uns vertritt und ueber uns und in uns regiert durch die Gnade. Da sieht man keine Suende, empfindet keinen Schrecken, kein Beissen des Gewissens. In diese himmlische Gerechtigkeit kann keine Suende hineinkommen, denn da ist kein Gesetz. "Wo aber das Gesetz nicht ist,[1] das ist auch keine Uebertretung" [Roem. 4, 15.]. Da also hier die Suende keine Statt findet, so ist auch sicherlich keine Gewissensangst da, kein Schrecken, keine Traurigkeit. Deshalb sagt Johannes [1 Ep. 3, 9.]: "Wer aus Gott geboren ist, der kann nicht suendigen." 17. Wenn aber Schrecken des Gewissens da ist, so ist das ein Zeichen, dass diese Gerechtigkeit hinweg ist, dass die Gnade aus den Augen gelassen und verloren ist, und Christus, im Finstern verborgen, nicht gesehen wird. Aber wo Christus in Wahrheit gesehen wird, da muss nothwendigerweise voellige und vollkommene Freude in dem Herrn sein und Friede des Gewissens, der festiglich darauf besteht: Wiewohl ich ein Suender am Gesetz bin und es mir mangelt an der Gerechtigkeit des Gesetzes, so verzweifle ich darum doch nicht, darum muss ich nicht sterben, denn Christus lebt, welcher meine Gerechtigkeit und mein ewiges und himmlisches Leben ist. In dieser Gerechtigkeit und in diesem Leben habe ich keine Suende, kein [boeses] Gewissens, keinen Tod. Ich bin zwar ein Suender, was das gegenwaertige Leben und keine Gerechtigkeit anbetrifft, als ein Kind Adams, wo mich das Gesetz anklagt, der Tod herrscht und mich endlich verschlingen wird; aber ueber dieses Leben habe ich eine andere Gerechtigkeit, ein anderes Leben, welches ist Christus, der Sohn Gottes, der von Suende und Tod nichts weiss, sondern die Gerechtigkeit und das ewige Leben ist, um dessentwillen auch dieser mein Leib, nachdem er gestorben und zu Asche geworden ist, wieder auferweckt und von der Knechtschaft des Gesetzes und der Suende befreit und zugleich mit dem Geiste geheiligt werden wird. 18. So bleibt beides, so lange als wir hier leben. Das Fleisch wird angeklagt, es wird geplagt mit Anfechtungen, es wird betruebt und zunichte gemacht durch die thaetige Gerechtigkeit des Gesetzes. Der Geist aber regiert, ist froehlich und wird selig durch die leidende Gerechtigkeit, weil er weiss, dass er einen Herrn hat, der da im Himmel sitzt zur Rechten des Vaters, der das Gesetz abgethan hat, die Suende, den Tod und alles Uebel unter seine Fuesse getreten, sie gefangen gefuehrt und "einen Triumph aus ihnen gemacht durch sich selbst" [Col. 2, 15.]. 19. Damit geht also Paulus in dieser Epistel um, dass er uns fleissig unterrichte, staerke und erhalte in der vollkommenen Erkenntniss dieser allervortrefflichsten und christlichen Gerechtigkeit. Denn wenn dieser Artikel von der Rechtfertigung verloren ist, dann ist auch zugleich die ganze christliche Lehre verloren. Und alle Leute in der Welt, welche sie [die Rechtfertigung] nicht festhalten, sind entweder Juden, oder Tuerken, oder Papisten, oder Ketzer, weil zwischen diesen beiden Gerechtigkeiten, der thaetigen des Gesetzes und der leidenden Christi, kein Mittel ist. Wer also von der christlichen Gerechtigkeit abirrt, der muss in die thaetige Gerechtigkeit zurueckfallen, das heisst, er muss, weil er Christum verloren hat, dahin fallen, dass er sein Vertrauen auf seine eigenen Werke setze. 20. Das sehen wir heutzutage an den Schwaermgeistern, welche Secten anrichten, nichts lehren, auch von dieser Gerechtigkeit der Gnade nicht recht lehren koennen (die Worte haben sie freilich aus unserem Munde und unseren Schriften geschoepft),[2] darum reden und schreiben sie nur Worte. Die Sache selbst aber koennen sie nicht vortragen, nicht darauf dringen noch sie einschaerfen, weil sie dieselbe nicht verstehen auch nicht verstehen koennen, da sie nur an der Gerechtigkeit des Gesetzes hangen. Darum sind und bleiben sie Werktreiber, die sich nicht erheben koennen ueber die thaetige Gerechtigkeit. 21. Deshalb bleiben sie dieselben Leute, die sie unter dem Pabste gewesen sind, nur dass sie neue Namen und neue Werke aufbringen, doch die Sache bleibt dieselbe; wie die Tuerken andere Werke thun als die Papisten, die Papisten andere Werke thun als die Juden [usw.] Aber moegen die einen auch noch so viel scheinbarere, groessere, schwierigere Werke thun als die anderen, so bleibt doch dasselbe Wesen; nur die Beschaffenheit ist eine andere, das heisst, die Werke sind nur nach dem aeusserlichen Ansehen verschieden, in der That und Wahrheit aber sind es Werke, und diejenigen, welche sie thun, sind nicht Christen, sondern sind und bleiben Werkheilige, moegen sie nun Juden, Mahometisten, Papisten oder Wiedertaeufer [usw.] heissen. 22. Darum wiederholen wir unablaessig dieses Lehrstueck vom Glauben oder der christlichen Gerechtigkeit, dringen so sehr darauf und treiben es so ernstlich, damit es in stetem Brauche bleibe und deutlich von der thaetigen Gerechtigkeit des Gesetzes unterschieden werde. Auf andere Weise werden wir die wahre Theologie nicht erhalten koennen (denn allein aus dieser und in dieser Lehre entsteht und besteht die Kirche), sondern wir werden sofort Juristen, Ceremonientreiber Gesetzeslehrer, Papisten: Christus wird verdunkelt, und niemand kann in der Kirche recht belehrt und aufgerichtet werden. Wenn wir daher Prediger und Lehrer anderer sein wollen, so muessen wir auf diese Dinge mit der allergroessten Sorgfalt Acht haben und diesen Unterschied der Gerechtigkeit des Gesetzes und der Gerechtigkeit Christi wohl festhalten. Es ist dies zwar leicht zu sagen, aber in der Erfahrung und in der Anwendung ist es das Allerschwerste, wenn man es auch aufs sorgfaeltigste schaerft und uebt, weil in der Stunde des Todes oder in anderen Kaempfen des Gewissens diese beiden Gerechtigkeiten naeher zusammenruecken, als man wuenschen oder wollen mag. 23. Deshalb ermahne ich euch, besonders die ihr Lehrer der Gewissen sein werdet, und einen jeglichen insonderheit, dass ihr euch ueben moeget mit Studieren, Lesen, Nachdenken (_meditando_) und Beten, damit ihr in der Anfechtung sowohl euer eigenes Gewissen als auch die Gewissen anderer unterrichten und troesten koennet und sie vom Gesetze zu der Gnade fuehren, von der thaetigen Gerechtigkeit zu der leidenden, kurz, von Mose zu Christo. Denn der Teufel pflegt uns in der Truebsal und im Kampfe des Gewissens durch das Gesetz zu schrecken, und uns unser boeses Gewissen ueber die Suende vorzuhalten, unseren aeusserst schaendlichen Lebenswandel, den Zorn und das Gericht Gottes, die Hoelle und den ewigen Tod, damit er uns so in Verzweiflung stuerze, uns sich unterthaenig mache und von Christo abziehe. Er pflegt uns auch sogar Stellen aus dem Evangelio vorzuhalten, in welchen Christus selbst Werke von uns verlangt, und denen, die sie nicht gethan haben, mit klaren Worten die Verdammniss droht. Wenn wir hier nicht zwischen diesen beiden Gerechtigkeiten zu unterscheiden wissen, wenn wir hier nicht im Glauben Christum ergreifen, der da sitzt zur Rechten Gottes, der unser Leben und unsere Gerechtigkeit ist, der auch uns arme Suender bei dem Vater vertritt, dann sind wir unter dem Gesetz, nicht unter der Gnade, und Christus ist uns nicht mehr ein Heiland, sondern ein Gesetzgeber. Da kann keine Seligkeit mehr uebrig sein, sondern gewisse Verzweiflung und ewiger Tod wird folgen. Darum muessen wir aufs fleissigste diese Kunst lernen, zwischen diesen beiden Gerechtigkeiten zu unterscheiden, auf dass wir wissen, wie weit wir dem Gesetze gehorchen muessen. 24. Wir haben aber oben [Paragraphen 11. 12] gesagt, dass das Gesetz in einem Christen seine Schranken nicht ueberschreiten, sondern seine Herrschaft nur ueber das Fleisch haben muesse, welches ihm unterworfen sein und unter ihm bleiben soll. Wo dies geschieht, da bleibt das Gesetz in seinen Grenzen. Wenn es aber das Gewissen einnehmen und hier herrschen will, so siehe zu, dass du dann ein guter Dialecticus seiest, recht theilest, und dem Gesetze nicht mehr einraeumest, als ihm zugestanden werden muss, sondern sprechest: Gesetz, du willst in das Reich des Gewissens dich versteigen und dort herrschen, und es der Suende beschuldigen, und die Freude des Herzens aufheben, welche ich aus dem Glauben an Christum habe, und mich in Verzweiflung bringen, dass ich verzweifeln und umkommen soll. Dies thust du, und es ist doch deines Amtes. Bleibe in deinen Schranken und uebe die Herrschaft ueber das Fleisch aus, aber mein Gewissen ruehre mir nicht an. Denn ich bin getauft und durch das Evangelium berufen zur Gemeinschaft der Gerechtigkeit und des ewigen Lebens, zum Reiche Christi, in welchem mein Gewissen Ruhe gefunden hat, wo kein Gesetz ist, sondern lauter Vergebung der Suenden, Friede, Ruhe, Freude, Seligkeit und ewiges Leben. Diese Dinge truebe du mir nicht, denn ich werde es nicht dulden, dass du als ein harter Tyrann und als ein grausamer Treiber in meinem Gewissen regierest. Denn es ist ja der Sitz und der Tempel Christi, des Sohnes Gottes, welcher der Koenig der Gerechtigkeit und des Friedens ist und ein ueberaus liebreicher Heiland und mein Mittler. Der wird mein Gewissen froehlich und befriedet erhalten in der gesunden und reinen Lehre des Evangelii und in der Erkenntniss dieser leidenden Gerechtigkeit. 25. Wenn ich diese Gerechtigkeit im Herzen habe, so steige ich vom Himmel hernieder gleichsam als ein Regen, der die Erde befruchtet, das heisst, ich trete hinaus in ein anderes Reich und thue gute Werke, so viel mir nur vorkommen. Wenn ich ein Diener des Wortes bin, so predige ich, troeste die Kleinmuethigen, verwalte die Sacramente; bin ich ein Hausvater, so regiere ich mein Haus, mein Gesinde, erziehe meine Kinder zur Gottseligkeit und Ehrbarkeit; bin ich eine obrigkeitliche Person, so richte ich mein Amt aus, welches Gott mir befohlen hat; bin ich ein Knecht, so lasse ich mir die Angelegenheiten meines Herrn treulich befohlen sein. Kurz, ein jeglicher, der da gewiss weiss, dass Christus seine Gerechtigkeit ist, der richtet nicht allein von Herzen und mit Freuden alles wohl aus in seinnem Berufe, sondern unterwirft sich auch aus Liebe der Obrigkeit, auch ihren gottlosen Gesetzen, auch allen Lasten und Gefahren dieses Lebens, wenn es die Umstaende erfordern, weil er weiss, dass dies Gottes Wille ist und ihm solcher Gehorsam gefaellt. 26. Das sei genug davon, um was es sich in dieser Epistel handelt. Paulus nimmt dies vor sich und legt es dar, veranlasst durch falsche Lehrer, welche den Galatern diese Gerechtigkeit des Glaubens verdunkelt hatten. Gegen diese ruehmt er sein [apostolisches] Ansehen und Amt. ____________________________________________________ NOTES: [1] _ubi autem nulla est lex_ fehlt in der Erlanger. [2] Diese Klammern sind von uns gesetzt. ___________________________________________________________________ This text was translated for Project Wittenberg by Robert A. Oeser and is in the public domain. You may freely distribute, copy, or print this text. Please direct any comments or suggestions to: Rev. Robert E. Smith of the Walther Library at Concordia Theological Seminary. E-mail: smithre@mail.ctsfw.edu Surface Mail: 6600 N. Clinton St., Ft. Wayne, IN 46825 USA Phone: (260) 452-3149 Fax: (260) 452-2126 ___________________________________________________________________